Angehörige von Alkoholabhängigen unterstützen oftmals ihre Partner bis zur eigenen Selbstaufgabe. Sie sind dann nicht in der Lage, die Aussichtslosigkeit ihres Verhaltens
zu bewerten und sich entsprechend zu verhalten.
Co-Abhängigkeit ist Irrtum, Versäumnis und Verstrickung. Dies kann so weit führen, dass Co-Abhängige sich selbst
nicht mehr fühlen und wahrnehmen - in der Beziehung zum Süchtigen, oft aber auch darüber hinaus. Ca. 8 Millionen Menschen sind in Deutschland direkt von der
Suchterkrankung als Angehörige betroffen. In jeder siebten bis achten Familie kann ein Suchtproblem angenommen werden. Es ist bekannt, dass ca. 30 bis 50 % der
alkoholabhängigen Menschen selbst Kinder aus Familien mit einem suchtkranken Elternteil sind und ca. 60 % der Partnerinnen von Alkoholikern eine/n suchtkranken
Vater/Mutter haben. Die Selbsthilfegruppen für Suchtkranke weisen seit ihrem Bestehen darauf hin, dass die Suchtkrankheit eines Familienmitgliedes auch immer die
übrigen Mitglieder des sozialen Umfeldes betrifft.
Angehörigen können und sollten sich jederzeit an eine Beratungsstelle wenden. Durch die Teilnahme an den Gruppengesprächen fühlen sie sich verstanden und nicht
mehr so allein gelassen. Man muss die Familie von Anfang an in die Gespräche mit einbeziehen. Um zu vermeiden, dass sich der Trinker nicht hintergangen fühlt, ist es
wichtig, die Gespräche mit den Angehörigen im Beisein des Trinkers zu führen. Erst zu einem späteren Zeitpunkt werden die Angehörigen und Betroffenen separat
beraten. Ich benutze bewusst gelegentlich das Wort Trinker, da der Ausdruck Alkoholiker von den Betroffenen nicht gerne gehört wird, auch wenn dieser Begriff das
Problem am besten trifft. Das Wichtigste ist, die Vertrauensbasis zwischen Beratungsstelle, Angehörigen und Betroffenen aufrecht zu erhalten, da es in erster Linie
darum geht, den Trinker mit allen Mitteln und aller Kraft vom Alkohol zu befreien. Die Hauptvoraussetzung ist jedoch der eigene Wille des Hilfesuchenden.
Ein Alkoholiker hört eher einem ehemals Betroffenen zu als jemandem, der diese Problematik nur aus Büchern kennt und die Schwierigkeiten und Ängste noch nie
am eigenen Leib erfahren hat. Oft kommt es schon zu einer gewissen 'Einsicht' indem der Betroffene die Parallelen zu sich selbst erkennt, meist dauert es aber eine
längere Zeit, bis 'der Groschen fällt'.
So schwer es auch ist: Die Angehörigen müssen beginnen, Konsequenzen zu ziehen. Wichtig ist vor allem, dem Alkoholiker deutlich zu machen, dass man als Ehefrau
oder Ehemann, Freund oder Freundin, bereit ist, festgefahrene Gewohnheiten und Bequemlichkeiten zu ändern, auch auf die Gefahr hin, dass die Beziehung
auseinander geht, Nur so haben die Angehörigen die Chance, den Trinker zum Handeln zu bringen.

Vielleicht gelingt es durch massive Drohungen oder andere Manipulationen, den Abhängigen für kurze Zeit zu einer Änderung seines Trinkverhaltens zu bewegen, aber
nach kurzer Zeit ist alles wieder beim alten.
Damit beginnt das Spiel von neuem: Kontrollversuche auf Seiten der Familie, Misserfolg und Gefühl von Traurigkeit,
Enttäuschung, Ärger und Schuld. Bei diesen dauernden Misserfolgen ergibt sich nun die Frage: "Wieso versucht die Familie eigentlich immer wieder, den Abhängigen zu
kontrollieren obwohl sie immer wieder Misserfolge erfährt. Warum gibt sie nicht einfach auf?" Hier läuft ein ähnlicher Mechanismus ab wie beim Abhängigen. Der Abhängige
macht seinerseits die Erfahrung, dass er unfähig ist, kontrolliert zu trinken. Diese Erfahrung macht er immer wieder. Auf der anderen Seite ist er so gefangen in seinem
Abwehrdenken und Fühlen, dass er die illusionäre Hoffnung hat, dass das nächste Mal seine Versuche, kontrolliert trinken zu können, gelingen. Natürlich gelingen sie nicht,
was ihn aber nicht zum Aufgeben seines illusionären Denkens und Fühlens führt, sondern zu einem neuen Versuch.
Etwas ähnliches geschieht bei den Angehörigen.
Sie haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sie ihrem Abhängigen durch ihre verschiedenartigen Versuche nicht helfen konnten. Verstandesmäßig ist ihnen
auch klar, dass sie ihm nicht helfen können. Aber bei ihnen ist ein ähnliches Abwehrsystem wie beim Abhängigen vorhanden. Dieses Abwehrsystem lässt die Erkenntnis
ihrer Machtlosigkeit nicht aufkommen. Auch sie bleiben in dem illusionären Hoffen hängen: "Das nächste Mal werden unsere Bemühungen Erfolg haben." "Wir müssen
nur klüger oder sensibler vorgehen oder zu einem besseren Zeitpunkt mit dem Abhängigen sprechen." Natürlich geht es auch mit dem nächsten Mal schief, und die
Angehörigen fühlen sich immer hilfloser und enttäuschter. Dies führt aber nicht zur Aufgabe ihrer Bemühungen, sondern zu einem neuen Versuch. Damit wird die Familie
in ihrem Denken, Fühlen und Handeln immer mehr von dem Abhängigen abhängig. Der Abhängige ist abhängig vom Alkohol. Die Familie ist abhängig von dem Alkoholiker. Der Hauptgrund für diese Abhängigkeit der Familie liegt in dem dauernden
Bemühen, den Abhängigen in seinem Trinkverhalten zu verändern. Die Familie will die Verantwortung für den Abhängigen übernehmen. Die Familie verhält sich so, als ob sie
für den Abhängigen und sein Tun verantwortlich wäre. Sie behandelt den Abhängigen als ein kleines Kind, das für sich nicht mehr Verantwortung tragen kann. Das stimmt
natürlich auf der einen Seite. Der Abhängige benimmt sich weitgehend unverantwortlich und wie ein Kind und lädt damit die Familie ein, für ihn die Verantwortung zu
übernehmen. Auf der anderen Seite unterstützt die Familie durch die Obernahme der Verantwortung das Trinkverhalten des Abhängigen. Er hat keinen Grund aufzuhören,
da die negativen Folgen seines Verhaltens weitgehend von der Familie ausgebügelt werden.
So paradox und ernüchternd es klingt, die Familie verlängert ungewollt das Trinken des Abhängigen durch ihre Tendenz, Verantwortung für den Abhängigen zu
übernehmen. Das ist für viele Angehörige eine bestürzende und schmerzhafte Erkenntnis, dass all ihr Einsatz und ihre Mühe das Gegenteil von dem bewirkt haben, was
sie eigentlich wollten. Damit wären wir bei der Frage nach einer Lösung. Gibt es eine Lösung aus diesem Teufelskreis ? In welcher Richtung könnte diese Lösung liegen ?
Am Beginn jeder Therapie für Alkoholiker liegt die Krankheitseinsicht. Dem Abhängigen wird zusehends klar, dass er alkoholkrank ist, d.h. dass er unfähig ist,
zu bestimmen, wann und wie viel er trinkt.
Er ist machtlos gegenüber dem Alkohol. Dieses Eingeständnis der Niederlage ist die unverzichtbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie. Mit diesem Zugeben
der Machtlosigkeit begibt sich der Abhängige aus dem Abwehrsystem der Verleugnung heraus und stellt sich der Wirklichkeit. Die illusionäre Hoffnung, nächstes Mal werde
ich den Alkohol kontrollieren, bricht zusammen. Die Überzeugung bricht auf: "Ich werde niemals mehr kontrolliert trinken können."
Auch die Angehörigen müssen zugeben, dass sie machtlos sind. Machtlos gegenüber dem Alkoholiker. Auch bei Ihnen ist es notwendig, dass Sie sich zu ihrer Niederlage
bekennen, zu der Tatsache, dass alle Kontrollversuche fehlgeschlagen sind und immer fehlschlagen werden. Gegen dieses Zugeben der Niederlage und der Machtlosigkeit
sträubt sich alles in uns. Wir wollen es nicht wahrhaben. Hierin gleicht der Angehörige dem Abhängigen sehr stark. Zugeben der Niederlage ist demütigend. Dennoch führt
an dieser Einsicht kein Weg zur Gesundung der Familie vorbei.
So lange wir gegen die Abhängigkeit unseres Angehörigen kämpfen, bleiben wir in der Verliererposition. Wenn wir unsere Machtlosigkeit eingestehen, führt ein Weg
aus der Verliererposition heraus.
Bei der Therapie des Abhängigen genügt die Krankheitseinsicht alleine noch nicht. Er wird Entscheidungen fällen müssen, Entscheidungen zur Nüchternheit,
Entscheidungen zur Veränderung, Entscheidung zur Aufgabe der Kontrollhaltung. Das gleiche gilt auch für die Angehörigen. Einsicht in die Machtlosigkeit und
Vergeblichkeit ihrer redlichen Bemühungen allein genügen nicht. Dies könnte auch zu Resignation und Verzweiflung führen. War das bisherige Verhalten der Angehörigen
gezeichnet von Festhalten und Kontrolle, so ist das neue Ziel Loslassen, dem Abhängigen seine Verantwortung nicht mehr abnehmen, sondern sie ihm zumuten.
Sie waren im guten Glauben, ihren Angehörigen zu helfen, sie haben viel Kraft, Zeit und Schmerz in diese Rolle investiert. Wichtig ist, dass Sie heute bereit sind,
Abschied von dieser Beschützerrolle zu nehmen, dass Sie ihren Abhängigen loslassen und aufhören, für ihn die Verantwortung zu übernehmen.
Wahrscheinlich steigt jetzt
eine Menge Widerstand in Ihnen hoch. Fragen wie etwa folgende:
"Was wird aus dem Abhängigen, wenn ich mich nicht mehr um ihn kümmere ?" Vielleicht ist es auch
die andere Frage: "Wenn ich loslasse, muss ich mich nicht dann von meinem Mann oder von meiner Frau trennen ?" Die letztere Frage macht deutlich, dass viele
Angehörige hier nur ein Entweder - Oder sehen. Entweder sie spielen die Beschützerrolle, oder sie lassen sich scheiden. Das ist aber eine einseitige Sicht des Problems.
Es gibt noch eine Menge Alternativen. Ich nenne eine: Ich gebe meine Beschützerrolle auf und behandle meinen Partner als selbstverantwortlichen Menschen. Dieser
Weg kommt aus der Erkenntnis, dass ich andere Leute nicht ändern kann und dass meine Beschützerrolle zu keinem bleibenden Erfolg geführt hat. Gerade nach
Beendigung einer Therapie ist die Frage nach Trennung oder Scheidung verfrüht. Erst sollte der Versuch gemacht werden, bei dem jeder als selbstverantwortlicher
Mensch lebt und nicht Verantwortung für den anderen übernimmt. Sollte dies auf die Dauer dann nicht möglich sein, kann dann immer noch eine Trennung oder
Scheidung ins Auge gefasst werden. Viel wahrscheinlicher aber ist es, dass die Ehe auf die Basis der Selbständigkeit und Selbstverantwortung gestellt, besser gelingt
als vorher. Natürlich ist das ein langer und oft mühsamer Weg, wie ja überhaupt Loslassen ein mühseliges Geschäft ist.
Die andere Frage war: "Was wird aus dem Abhängigen, wenn ich nicht mehr die Beschützerrolle spiele ?" Fragen wir uns aber zuerst, was ist aus ihm geworden,
so lange wir diese Rolle gespielt haben. Nichts Gutes ! Ist für den Abhängigen kein Beschützer mehr da, besteht gute Aussicht, dass er selbst diese Rolle übernimmt.
Er fängt an, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen, da die anderen müde sind, es für ihn zu tun.
Hat der Angehörige angefangen, seinen abhängigen Partner loszulassen, wird er fähig, für sich selbst etwas zu tun. Jahrelang, ja oft jahrzehntelang waren die
Gedanken und Gefühle des Angehörigen besetzt mit der ängstlichen Sorge um den trinkenden Partner. Für sich selbst und seine eigene Reifung und sein eigenes
emotionales Wachstum blieb wenig Zeit und Kraft. Will der Angehörige auf die Dauer gesund bleiben, muss er anfangen, für sich und sein Wachstum etwas zu tun.
Ein guter Teil der Kraft, die in die Helferrolle geflossen ist, kann nun dem Wachstum der eigenen Persönlichkeit zugute kommen.
Konkret heißt das zunächst, dass der Angehörige aus seiner Isolation herauskommt und sich Freunde sucht. Alte Freundschaften, die durch den Alkoholismus des
Partners eingefroren wurden, können erneuert werden, neue Freundschaften angeknüpft werden. Eine besondere Rolle spielt hier eine Unterstützungs-Gruppe. Der Angehörige
braucht neben einem Bekanntenkreis auch einen Kreis von Menschen, die unter dem gleichen Problem leiden wie er selbst. Eine solche Selbsthilfegruppe wäre etwa
die Al-Anon Gruppe, eine Parallelgruppe zu den Anonymen Alkoholikern. Diese Gruppe ist ausschließlich für die Angehörigen von Alkoholikern gedacht. Diese können
hier offen über ihre Probleme, ihre Gefühle und Frustrationen sprechen und an ihrem eigenen emotionalen Wachstum arbeiten. Daneben gibt es die örtlichen
Selbsthilfegruppen des Blauen Kreuzes, der Guttempler und der Freundeskreise. Auch gehen die örtlichen Beratungsstellen häufig dazu über, eigene Gruppen für
Angehörige einzurichten.
Der Angehörige hat lange Zeit seine eigenen Wünsche und Bedürfnisse zurückgestellt. In diesem Stadium sollte er sich die Frage stellen:
"Was möchte ich für mich tun ?" Die Antwort darauf mag für den einen der Besuch eines Konzertes oder eines Theaters bedeuten, für den andern ein Abendkurs
in Englisch, für den dritten die Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit und vieles andere. Emotionales Wachstum kann in die Richtung einer tieferen Annahme seiner
selbst gehen oder in Richtung eines besseren Umgangs mit Ärger und Frustration, oder in einer tieferen Erfahrung von Intimität und Partnerschaft. Noch einmal sei es
gesagt, dieses Wachstum und diese Veränderung ist unabhängig von der Trockenheit des Partners. Auch, wenn der Alkoholiker sich entscheidet, wieder oder weiter
zu trinken, kann der Angehörige aus dem Kreis der Abhängigkeit aussteigen, sich verändern und sich auf seine eigenen Füße stellen. Häufig wird die neue Einstellung
und Haltung des Angehörigen aber auch eine Hilfe für den Alkoholiker sein, sich seinerseits auf seine eigenen Füße zu stellen und gemeinsam mit seinem Partner den
Weg in die Nüchternheit, Zufriedenheit und Reife zu gehen.
Diese komplexe Thematik bringt es also mit sich, daß die Angehörigen selbst ebenso Hilfe benötigen wie der Alkoholabhängige.
Ein Schritt in die richtige Richtung ist es deshalb, eine Selbsthilfegruppe für Angehörige zu kontaktieren.
Auf der Homepage von
Al-Anon finden Sie auch eine solche Gruppe in Ihrer Nähe.
Quelle: - Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren e.V.
- Beratungsstelle 'Hands'
- Franz Strieder, Psychotherapeut, Fachklinik Bad Tönisstein.
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